Etwas Besinnliches brachte Werner Scholz zum Jahresanfang mit. Und mit seiner eigenen Begeisterung für Gedichte weckte er auch das Interesse der Zuhörer bei der Offenen Bühne in Groß-Rohrheim. Ob Schillers „Glocke“ – die Ballade, die von ganzen Schülergenerationen gefürchtet wurde – oder die Geschichte des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, die Theodor Fontane in Versen erzählt – Scholz machte in seinem Vortrag stets die Gedankenfülle deutlich, die in der gebundenen Sprache der Dichtung steckt.
Trotz der Länge der Schiller’schen Ballade fegten die Sätze im Sturm und Drang der Verse fast im Telegrammstil daher. Ganz anders Fontane, der ein brandenburgisch-preußisches Landidyll zeichnet, wo ein altersweiser Gutsherr noch im Tode seinem Erben, einem fast wilhelminisch anmutenden schneidigen Junker, eine Lektion in Sozialverhalten erteilt.
Obwohl sie mit ihrer Musik etwas völlig anderes boten, passten Los Mescaleros gut dazu. Stilistisch waren es Blues, Boogie und Rock’n’Roll, was Tom Matthes und Michael Ziegler boten – unplugged mit Gitarren und Gesang. Jene Musik, die über Jahrzehnte hinweg die Synthese von afrikanischem Rhythmusgefühl und europäischen Melodielinien hervorgebracht hat, die gleichsam ein freiheitliches Paralleluniversum zur manchmal bedrückend realen Welt öffnet. Die musikalische Formensprache macht die drängende und entschlossene Flucht aus bedrückenden Verhältnissen, dargestellt mit den rollenden Achtelnoten des Boogie, ebenso hörbar wie das eher gemächliche Dahinfahren auf der berühmten Route 66 von Chicago nach L.A.
Das Duo präsentierte aber auch den für heutige Ohren fast idyllisch klingenden ländlichen Blues aus den Südstaaten. Matthes und Ziegler führten dann in die Rockgeschichte – mit Songs von Elvis Presley bis zu den Rolling Stones, die ja gerade dieser afroamerikanischen Herkunft ihrer Musik verpflichtet sind.
Neu auf der Offenen Bühne war die Band Cold in Hand: Astrid Milarch (Gesang), Klaus Unser und Walter Hoinka (Gitarren und Gesang), Frank Schneider (Bass) und Uli Bäuerlein (Schlagzeug) aus der Region Karlsruhe, Schwetzingen, Heidelberg. Sie hatten poppige und rockige Stücke im Repertoire, eine ganze Reihe von Cover-Songs von Otis Reding und BB King bis zu Norah Jones und den Rolling Stones, dazu auch etliche eigene Stücke.
Drei Jahre etwa sei sein erster Auftritt her, rechnete Phoenix the Devourer vor. Damals hatte der Bassist und Sänger mit einem weiteren Musiker mit Didgeridoo und Cajon auf der Offenen Bühne gestanden. Diesmal war Wolfgang Haselberger mit seiner Mandoline dabei. Phoenix selbst gab sich wieder als der „Außerirdische“, der sein Publikum mit großem Stimmumfang zum Elektrobass verblüfft. Los ging’s mit „No Woman no Cry“, „Don’t Worry, Be Happy“ und weiteren Popsongs, dann spielte er mit Mund (!) und Händen „Hänschen klein“ auf dem Bass. Als kurz danach eine Bass-Saite wegflog, stellte sich die Frage, ob der Musiker sie wohl durchgebissen hatte. Unter Beifall wechselte Phoenix die Saite und spielte weiter bis zum nächsten Unfall dieser Art, den Haselberger auf der Mandoline überbrückte. Dann hieß es „I Shot The Sheriff“, und zum Schluss noch „House Of The Rising Sun“.
Der Abend auf der Offene Bühne währte so lange wie selten. Der Beifall trieb die Musiker zu immer neuen Stücken. Erst gegen Mitternacht machten sich die letzten Gäste auf den Heimweg.
© Südhessen Morgen, Samstag, 12.01.2013, Hans J.Eimert